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Das gezeichnete Ich

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Heinz und Anna Edelmann am 7. Juli in Stuttgart, Foto: Gerrit Terstiege

In der von Heinz Edelmann ausgestatteten Klett-Cotta-Gesamtausgabe der Werke Gottfried Benns findet sich folgendes Gedicht, es gehört zu seinen schönsten:

„Durch soviel Formen geschritten, durch Ich und Wir und Du, doch alles blieb erlitten, durch die ewige Frage: wozu? Das ist eine Kinderfrage. Dir wurde erst spät bewusst, es gibt nur eines: ertrage – ob Sinn, ob Sucht, ob Sage – dein fernbestimmtes: Du musst. Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere, was alles erblühte, verblich. Es gibt nur zwei Dinge: die Leere und das gezeichnete Ich.“

Heinz Edelmann wusste Rosen in Schnee zu verwandeln und Meere aus Löchern zu füllen. Er konnte Radiowellen sichtbar machen, ließ Sterne regnen, Tiere erblühen und brachte Erbsen zum Tanzen. Und er hat Berge versetzt. „Seine Linien und Farben durchzogen das Heft“, schrieb Willy Fleckhaus über Edelmanns zeichnerische Interventionen in „twen“, viele Jahre nach ihrer Zusammenarbeit in der legendären Redaktion. Edelmanns Vorspann zu der ZDF-Reihe „Der phantastische Film“ hat mir als Kind Alpträume beschert: Köpfe drehen sich darin wie leere Puppenglieder, Haare brennen, Flammen züngeln zu dem flatternden Geräusch von Vogelflügeln. Plötzlich lösen sich Fledermäuse aus der Silhouette eines Gesichts, geben den Blick frei auf wirr geschminkte Fratzen, ein einäugiges Spinnenmonster erscheint mechanisch wie die Bananen und Erdbeeren in Spielautomaten. 30 Sekunden blanker Horror, stilistisch noch ganz in der Tradition von „Yellow Submarine“. Viele seiner Buchumschläge machten auch spröde Autoren zu Bestsellern, doch als der von ihm illustrierte „Herr der Ringe“ vor ein paar Jahren zum „Besten Buch der Deutschen“ gekürt wurde, nannte er diese Wahl einen „Triumph der Blödheit“: „Das Buch ist gewiss eine liebenswürdige literarische Kuriosität. Aber es ist wohl das einzige Buch, das jemals in diese Finsternis gedrungen ist.“ Was heute längst nicht mehr selbstverständlich ist: Edelmann las die Geschichten, die es zu illustrieren galt, nahm sich Zeit, experimentierte, haderte mich sich – und mit seinen Epigonen: „Jetzt kopieren sie sogar meine Manierismen, wie den abgespreizten kleinen Finger, den ich den Beatles angedichtet habe“. Aber er verbitterte nicht, dafür hatte er viel zu viel Humor. In einer Episode seines wunderbaren Buchs „The Incredible“, das er vor vier Jahren fertig stellte, bekommt selbst der Sensenmann seine Späße zu spüren und bleibt sprachlos zurück.

Nun starb der große Lehrer und Zeichner am 21. Juli in Stuttgart. Zwei Wochen zuvor hatten wir uns noch getroffen, zusammen mit seiner Frau und Weggefährtin, zu einem lange geplanten Gespräch. Als wir uns vor seiner Wohnung in der Augustenstrasse verabschiedeten, sagte er mit Blick auf die herunter gelassenen Jalousien: „Immer wenn sie unten waren, dann war ich zuhause.“ Im Dunkeln hat er eine helle Welt geschaffen. Adieu, Heinz Edelmann.

Gerrit Terstiege

Heinz Edelmanns Vorspann der Filmreihe "Der phantastische Film" lief seit den 70er Jahren mehrere Hundert Male im ZDF. Das Video au YouTube ist sehr sehenswert.

Und hier noch ein paar Beispiele aus seinem schaffensreichen Leben ...






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