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mood swings

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Man kann sich schon fragen, ob Re-Magazine eigentlich eine Bestimmung für die diversen überfüllten Coffee tables (meinetwegen internationale Purple-Liga) vermeiden kann oder auch will. Und wer die Hübschheiten noch braucht. Bei der im Winter erschienenen Ausgabe scheinen jedoch mindestens 3 Aspekte gegen solche Vorbehalte zu sprechen.
Zum einen sieht das Ganze wirklich gut aus. Kommt in Understatementlook (Times, grösstenteils zweifarbig) und zitiert unaufgeregt und grosszügig Layoutmerkmale der späten 1970er Jahre. Modische Wiederbelebungen gefallen ja einigen KollegInnen derzeit (Brownness, schöne Dekadenz, simple und gut aufgeräumt), Re-Magazine macht das wohl aus programmatischen Gründen. Vorige Ausgaben waren eher modern/holländisch gestaltet und sind hinlänglich bekannt aus Grafikkompendien. Nun also Historisierendes, womöglich zielt Re- sowieso auf Retrospektivmodi oder Reloading, auf die Reflektion einer Geschichte von Design, Distribution und Produktion von Publikationen. Wäre zu diskutieren. Mit der Ausgabe Hester setzt Re-Magazine jedenfalls seine sehenswerte Auseinandersetzung mit Looks und Format fort. Schwarz oder Farbe auf Gelb als Leitfarbe ist echt super.

Zum anderen geht hier einmal der konzeptuelle Ansatz einer Zeitschrift-Produktion auf. A magazine about one person hat nun nicht gerade noch gefehlt (Vorläufer lassen sich sicherlich finden), aber warum nicht. Jenseits von Bauchnabelschauen oder Exhibitionismen stellt die Veröffentlichung von „Authentischem“ und in unterschiedlichen Interviews Abgefragtem e i n e r Person zumindest in der Magazinlandschaft einen interessanten Ausflug dar. Dass hier unüblicherweise „einfache“ Leute ausführlich portraitiert werden – keine duften Bekanntheiten – spricht für sich. In solch einem Konzept vermischen sich autobiografische, dokumentarische und empirische Ansätze mit ein wenig Fanzine und Zurück an die Basis. Ganz angenehm.
Vielleicht interessiert einen die jeweilige Person einfach nicht – die kleinen Unannehmlichkeiten bei Biografien. Gerade das mag Re-Magazine vom Couchtisch holen.

Und schliesslich geht es bei Hester zwangsläufig (gehört nun einmal zur Person) um Depression. Im medialen und öffentlichen Bewusstsein gibt es nach wie vor – verglichen mit anderen Krankheiten – wenig Aufmerksamkeit gegenüber Depressionen. In Deutschland durchlaufen heute wahrscheinlich mehr als 5% der Bevölkerung krankhafte Depressionen, und nicht weniger als ein Zehntel muss mit schweren depressiven Schüben, etwa die Hälfte mit leichteren Symptomen rechnen. Als gesellschaftliche wie psychische Realität werden Depressionen häufig unterschätzt und stehen – nicht zuletzt – in komplexen wechselseitigen Beziehungen zu Arbeitsverhältnissen und -bedingungen. Hester produziert hier im Kleinen Öffentlichkeit, und das ist uneingeschränkt zu begrüssen. In verschiedenen Textformaten schildert film and TV writer Hester Schofield entsprechende Erfahrungen. Mir scheinen ihre Beschreibungen dicht und nahe an Symptomatik und subjektivem Erleiden zu sein. Keine Fachliteratur, passt trotzdem gut ins Bücherregal – vielleicht neben Sylvia Plath's Die Glasglocke.

Re-Magazine 12
Hester
Winter 2004-2005
9 Euro
Englisch, 2 Ausgaben im Jahr
Art direction/design Jop van Bennekom

www.re-magazine.com

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