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Anthony Lynch – Expressive Alphabets: Codierte Bewegung

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Fragestellung

In vielen Disziplinen, wie beispielsweise der Sprache oder der Musik haben sich bestimmte Zeichensysteme entwickelt, deren Aufgabe es ist, ein flüchtiges Medium in einen visuell erfassbaren und zeitlich haltbaren Zustand zu übersetzen. Aus vielen verschiedenen Ansätzen kristallisierten sich im Laufe der Zeit gewisse Standards heraus, die bis heute noch große Gültigkeit haben; man denke hier an die verschiedenen Alphabete oder die Musiknotenschrift. In diesem Sinne hat die Notierung von Tanz schon einen weiten Weg hinter sich und befindet sich dennoch nach wie vor in der Entwicklungsphase. So haben sich von den Anfängen bis heute etwa 85 verschiedene Tanzschriften präsentiert, von den diversen unvollendeten Entwürfen und verschollenen Werken einmal abgesehen.


Schutzumschlag


Einband

Wo lassen sich die Gründe dafür finden? Welchen Sinn hat überhaupt ein Notierungssystem für Tanz und Bewegung? Welche verschiedenen Techniken haben sich dabei über die Jahrhunderte hinweg entwickelt und welche Funktion sollte sie dabei im einzelnen erfüllen? In wieweit lassen sich die verschiedenen Ansätze formal Kategorisieren? Welche Systeme haben dabei das größte Entwicklungspotenzial? Gibt es eine Prüfung mit der sich ein echtes Notationssystem identifizieren lässt und welches der heute gängigen Systeme kann diesen Test bestehen?

Diese Fragen stellen den groben Rahmen meiner Arbeit dar. Um sie zu beantworten habe ich die historischen Zusammenhänge des Tanzes und den Versuchen seiner Notierung untersucht und einen Katalog einer Auswahl der wichtigsten Notierungstechniken zusammengetragen. Desweiteren habe ich versucht die Grundfunktionen der heute gebräuchlichsten Schreibsysteme zu illustrieren, um diese dann einem Leistungsvergleich zu unterziehen und einen möglichen Ausblick für die zukünftigen Entwicklungschancen zu geben, um herauszufinden, welches System das Potenzial besitzt sich als Standard durchzusetzen.

Konzeption

Die Arbeit ist in seinem Aufbau mit didaktischem Hintergrund konzipiert. In einer Einleitung erhält der Leser einen historischen Überblich über das Thema Tanz und seine Notierung. Die verschiedenen Auffassungen von Bewegung und Lösungsansätze werden beleuchtet und die einzelnen Techniken formal kategorisiert. Im folgenden werden die beiden verbreitetsten Systeme genauer erläutert und ihre konzeptionellen eigenheiten im Detail an Bildbeispielen illustriert. Nachdem der Leser mit den Grundfunktionen der Systeme vertraut gemacht wurde wird die Fragen des Leistungspotenzial zum einen an den praktischen Anforderungen, zum anderen an den theoretischen Bedingungen erörtert.

Das Buch besteht aus mehreren gestalterischen Ebenen. Eine strenge Textebene, die einem strikten Raster folgt beginnt im Laufe des Buches immer häufiger aus seinem engen statischen Korsett auszubrechen und verwandelt das Buch parallel zum Papier und dem textlichen Inhalt, den anfangs kalten, distanzierten Eindruck in einen lebenden, aktuellen Diskurs. Der Leser hat zu Beginn eine Distanz zu Thema, begegnet ihm womöglich mit Vorurteilen, die er aber im Verlaufe des Lesens ablegt, sich darauf einlässt womit der Verarbeitungsprozess in Gang gesetzt wird, der auch hier verdeutlicht werden soll. Der zweiten, formalen, Ebene liegen die Entwürfe Kandinskys zur Wirkung geometrischer Formen auf der Fläche zugrunde. So unterstützt das Kapitelsystem den bereits erwähnten Entwicklungsprozess des Buches und zeigt eine weitere Schnittstelle zwischen Tanz und grafischer Gestaltung auf. Denn interessanterweise verwendet Kandinsy in seiner Schrift nur allzu gerne Begriffe die man eher dem Tanz oder der Musik zuordnen würde wie zum Beispiel Rhythmus, Vibration, Bewegung und Balance. Die dritte Ebene stellt die Fotoserie dar, durch die Verwendung der Doppelbelichtungstechnik werden noch einmal die Aspekte von Bewegung wie, Zeit, Flüchtigkeit, Raum, Licht und Veränderung aufgezeigt. So existiert im gesamten Buch ein ewiges Wechselspiel zwischen Stillstand und Bewegung, der die tiefste Ebene des Übersetzungsprozesses von Bewegung in Notation widerspiegelt.

Zielsetzung

Kommunikative Absicht war es, mit dieser Arbeit zuerst einmal auf die Existenz eines gestalterischen Phänomens aufmerksam zu machen, dass sich trotz seiner Attraktivität für Gestalter sich weitgehend deren Kenntnis entzieht. Andererseits war es ein Anliegen von mir, auch Tänzer zu erreichen, um deren meist ungerechtfertigte Vorurteile zu entkräften und daraus folgernd ihre Bereitschaft zu fördern sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Um dies zu erreichen, war mir ein umfassender Einblick auf formaler wie theoretischer Ebene sehr wichtig, denn so liefert meine Arbeit die ideale Grundlage um sich danach in den verschiedenen Interessensgebieten gezielt weiter zu informieren. Die Arbeit richtet sich also zum einen an Gestalter, ob im Beruf oder in der Ausbildung, die nach neuen Inspirationen suchen. Tänzer sowie Tanzstudenten sollen auf den Wert hingewiesen werden, den Tanzschriften für die Entwicklung und das Verständnis von künstlerischer Bewegung hatten und noch heute haben, da ich der Meinung bin, dass gewisse Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Tanzgeschichte und Tanznotierung für jeden Tänzer essentiell sind. Das Buch ist jedoch so verfasst, dass es ohne große Vorkenntnisse dennoch einen großen Informationsschatz bietet, der dieses allgemein in der Literatur deutlich unterrepräsentierte Thema durchaus einer breiten Öffentlichkeit näherbringen könnte.

Plakate & Installation

Die Plakate stellen den nächsten Schritt von der Information hin zum aktiven Umgang mit Tanz- und Bewegungsschrift. Bewegungssequenzen legendärer sportlicher Leistungen sind in der KN/L notiert und auf ein Plakat übertragen. Durch ihre Übersetzung auf Plakate und deren Rahmung werden die Aktionen regelrecht zu Kunstobjekten hochstilisiert. So wird auch athletische, koordinative sowie physische Höchstleistung zur Kunstform erhoben. Genie verflüchtigt sich nicht sondern bleibt bestehen und für immer festgehalten.

Natürlich hat die Anfertigung einer solchen Partitur auch archivierende Funktion. So könnte beispielsweise ein aufstrebender Basketballer die Bewegungen Michael Jordans studieren um sein Spiel zu optimieren.
Außerdem zeigen diese Arbeiten den enormen grafischen Wert solcher Zeichensysteme. Die Plakate unterstreichen die Attraktivität, die von einer Bewegungsnotation ausgehen kann und unterstützt somit auch meine kommunikative Zielsetzung ein breites Publikum für dieses Thema zu interessieren.

Die Plakate wurden in einer Installation präsentiert und die jeweils dazu gehörigen Bewegungssequenzen im Loop parallel auf Monitoren gezeigt. So war es direkt für den Betrachter möglich einzelne Bewegungsfragmente nachzuvollziehen, d. h., dass der Zuschauer sich unterbewusst sofort mit diesem grafischen Phänomen auseinandersetzte und darauf reagierte.


Plakat Ronaldinho


Plakat Michael Jordan


Präsentation

Anthony Lynch
Expressive Alphabets:Codierte Bewegung
Diplomarbeit
Merz Akademie, Stuttgart
WS 2006/2007
Betreuung durch Prof. Joost Bottema

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