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April Greiman: Topo/Typo

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April Greiman ist die grande dame der postmodernen »New Wave« Typography, und wird als Grafikdesigner zu den Pionieren gezählt, die die digitale Revolution im Kommunikationsdesign Mitte der 80er Jahre gestartet und das Potential des neuen Mediums Computer frühzeitig genutzt haben, in einer eher skeptisch eingestellten Branche. In ihrem retrospektiv angelegten, weit ausholenden Vortrag lässt sie ihre Arbeiten für sich sprechen und geht assoziativ, selbstironisch und sehr subjektiv gefärbt auf die »shift« Thematik ein, ausgehend von ihrer eigenen Geburt als »Beckenendlage«, also entgegen der Norm, und den (vergeblichen) Versuchen, das Kind noch zu wenden, ihrer Liebe zur Wüste und ihrer Angst vor Kälte und Frieren.

Grafikdesigner nennt sie sich seit der Ankunft des Macintosh nicht mehr, sondern verwendet lieber die Bezeichnung "trans-media artist". Tatsächlich wechselt sie zwischen Designarbeiten und freier künstlerischer Tätigkeit (drive-by shooting), und musste sich bereits zu Beginn ihrer Karriere Vorwürfe anhören, nicht Design sondern Kunst zu machen. Ein Vorwurf überwiegend männlicher Kollegen, den sie mit einem »female shift« konterte, als sie 1986 die Gelegenheit erhielt eine Ausgabe des Design Quarterly zur Präsentation ihrer bahnbrechenden Arbeiten zu gestalten. (empfehlenswertes Video, in dem sie die Ausgabe selbst präsentiert, und man eine Vorstellung von der Arbeit bekommen kann: LA Design History: April Greiman – video no.2 – http://wn.com/April_Greiman)

Statt einer Retrospektive gestaltete sie auf Basis eines Selbstporträts (I decided there could be nothing more personal than a nude, digitized portrait of myself) eine personalisierte Ausgabe, deren 32 Seiten sich in ein quasi lebensgrosses Poster entfalten, komplett am Rechner erstellt (if you look at the some of the work done in the early to mid-eighties you can see the limitation. We finally got a 512k machine, the Mac Plus, which is how Design Quarterly was done. We used MacVision, which was a little beige box that hooked up to a video camera and ported right into the Mac. You could scan over an image and it was tiled out. We kept moving the camera, scanning and repeating … Quelle:http://idsgn.org/posts/design-discussions-april-greiman-on-technology/) Das Motto der Ausgabe »Does it make sense« wird mit einem Wittgenstein Zitat beantwortet »If you give it a sense, it makes sense« und ihr Porträt gerahmt von einer timeline zur Technologie-Entwicklung von der Geburt des Sonnensystems bis zur Ankunft des ersten Macs.


“Does It Make Sense?” Design Quarterly #133, 1986

Nach ihrer Studienzeit am Kansas City Art Institute und an der Allgemeinen Kunstgewerbeschule in Basel/Schweiz (Basel School of Design) bei Wolfgang Weingart und Armin Hoffmann, (wo speziell Wolfgang Weingart das Raster als Ordnungssystem der Moderne in Frage stellte und einen antiformalistischen, experimentellen Umgang mit Typo- und Bildmaterial lehrte) zog sie Mitte der 70er von New York nach Los Angeles. Ihr Büro Made in Space fungiert als zeitgemässes Design Studio, das für wechselnde, komplexe Projekte mit Spezialisten kooperiert, z. B. Architekten wie Barton Myers, Frank Gehry oder Roto Architects, und "transmedia identity" und "architectural branding" als Schwerpunkte seiner Arbeit aufzählt.

Topografie, also die »Lagebeschreibung natürlicher und künstlicher Objekte auf der Erdoberfläche« (Wikipedia) ist eine Art Schlüssel zu Greimans mehrdimensionalen, im Raum wirkenden und auf Raumwirkung setzenden Arbeiten. Von ihrem Wohnort Los Angeles spricht sie, ausgehend von den topografischen Fakten, von einer Wüste, die grösstenteils mit Asphalt bedeckt sei.

Die vorgestellten Projekte sind meist grosse, “environmental and architectural“ projects, aktuell der Orange County great park, die Umwandlung eines ehemals militärisch genutzten Geländes. Für diese erstellt sie meist Farb- und Materialpaletten, und ist so an Planung und Gestaltung unmittelbar beteiligt. Mit ihrem Lebenspartner (und seit drei Jahren Ehemann), Architekt Michael Rotondi, ist sie zudem Eigner und Betreiber eines Hotels und Spa's, (über einer der besten mineralischen Quellen der USA) Miracle Manor das unweit von Los Angeles – in der Wüste liegt.

»Branding and environmental graphics system for the vast 1400-acre Great Park of Orange County«

»Warehouse C« Nagasaki, Japan
http://www.rotoark.com/projects/commercial/warehouse-c

Die Argumentation für die Farbgebung Orange für das Observatorium, das als markantes Wahrzeichen von ganz Nagasaki zu sehen ist, setzte Ehemann Michael Rotondi etwas unter Druck: Greiman bot ihm als Argumentationshilfe für eine öffentliche Präsentation lediglich, es ist Orange, weil es an eine Orange erinnert … ergänzt durch die poetischere Umschreibung: die Farbe Orange soll an die aufgehende Sonne erinnern. Rotondi bot beide Interpretationen an, bei der ersten erntete er Schweigen, bei der zweiten gesammeltes Aufatmen und Zustimmung …Greiman's Studio am Broadway in LA, made in space, im zehnten Stockwerk. Ohne teilende Wände und mit beweglichem Mobiliar ausgestattet, bietet das Studio einen Panorama-Blick auf die umgebende Stadt. Large-scale mural at the Wilshire-Vermont LA subway terminal “hand holding a bowl of rice”
Im Herzen von »Koreatown« von Los Angeles ist diese Wandgestaltung mit hoher Wahrscheinlichkeit das grösste Ölbild der Welt. Die Auftraggeber zweifelten Greimans Fähigkeit bzw. die technische Bewältigung der Aufgabe durch digitale Drucktechnik an. So wurde die Ausführung zwei Plakatmalern übertragen, die sonst mit Acrylfarbe arbeiteten, in diesem Fall aber auf Ölfarbe umstellen mussten, weil der Trocknungsprozess bei den stark der Sonne ausgesetzten Wänden sonst zu schnell gegangen wäre.

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