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ARTIC # 10

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Gar nicht so artig daher kommt dieses in den frühen 90ern begründete Magazin für Kunst und Philosophie. In Zeiten von zunehmender PDF-Mag-Flut setzt Artic fast stoisch auf die Materialität des tatsächlich Gedruckten, (fast) Handgemachten.
Das von wechselnden Gestaltern betraute Design – darunter Susanne Schmitz, Juli Gudehus, David Link, Bodo Brandes, Anita Kolb, die Bochumer oktoberdesigner und aktuell rosige aussichten aus Köln – ist so aufwendig, so haptisch realisiert, daß einen fast Mitleid befällt mit den armen Leuten, die all die Gimmicks, die in einem Heft so aufkommen, tatsächlich in der 1000er-Auflagenstärke realisieren müssen. Bereits die Einbände aus Rauhfaser, Schleifpapier, Folie, Filz, Buchbindergaze, Fotopapier, Schaumstoff, Wischlappen, Klebefolie und aktuell feinmaschigem Draht geben eine Vorstellung von der Handarbeit, die hier stattfindet. Nicht ohne Grund sind die ersten fünf Ausgaben des limitierten Magazins also auch inzwischen vergriffen.

Im Inneren des 10. Heftes «Stimme» wimmelt es ebenfalls von materiellen Gags: Maschendrahteinband, Rasierklinge, musikalisches Transparentpapier, rote Kordel, eingeklebte Zettelchen mit Textfragmenten, ein Stück Tonband und nicht zuletzt eine komplette Audio-CD machen die 14 Euro, die das Heft kostet, fast zu einem Sonderangebot, wenn man bedenkt was andere Publikationen kosten. Die unglaubliche Liebe, die sich in dem Versuch, das Magazin zu einem Abenteuerspielplatz zu machen, widerspiegelt, ist phantastisch.

Manchmal ufert das natürlich aus... und da das Design angesichts des sehr textlastigen und hochgradig heterogenen Materials zudem versuchen muß, aus der inhaltlichen Not eine gestalterische Tugend zu machen, wirkt das Heft mitunter oszillierend, vielleicht willkürlich gestaltet. Es ist nie wirklich ganz l’art pour l’art, aber gelegentlich schrammen wir doch eine gewisse Beliebigkeit oder ein gewisses Austoben der Designer, wenn wir Seite um Seite mit immer neuen typographischen Spielereien zwischen Formsatz, Neoklassik , Schreibmaschinentypo, Typo-Tierchen und so weiter konfrontiert sind. Das macht Spaß, ist aber oft hart an der Grenze zum reinen Ornament, und soviel Schaffensdrang nimmt einem nach einigen Seiten auch schnell die Lust am Lesen. Denn wie immer lenkt solche expressive Typographie, die den Blick zunächst auf sich selbst zu richten versucht, etwas von den Texten ab. Das ist per se okay, ich brauche keine Morrisonsche Ruhe, ich mags, wenn der Regisseur auch mal den Text an die Wand inszeniert. Aber in der Suche nach dem nächsten visuellen Kick überblättert man dann doch schnellschnell die Texte, ruht nicht wirklich, wird nicht geführt, außer eben vorwärts, immer vorwärts. Das ist das Risiko der Inszenierung, daß die Texte in der Dekonstruktion per se erst im zweiten Durchgang wirklich wahrnehmbar werden. Man kann aber sicher auch argumentieren, daß überhaupt nur durch die Inszenierung die Texte überhaupt in den Will-ich-lesen-Bereich der Wahrnehmung geraten (nicht zuletzt auch das Heft wegen der visuellen Spielereien überhaupt erst gekauft wird, nicht wegen der Texte), daß sie in einer neutralen, langweiligeren Aufmachung einfach komplett untergehen würden und sich in der Bleiwüste niemand auch nur einen Text durchlesen wollte. Beides legitime Argumente. Die Artic ist vielleicht einen Tick zu sehr zwischen diesen beiden Polen, zu unentschieden zwischen postmodernem Anything goes und dann aber doch dem Wunsch nach Lesbarkeit, nach leichter Dechiffrierung, um mich sofort in die Texte zu ziehen. Weniger Showcase-Design (oder eben deutlich mehr Mut zur Schumpeterschen schöpferischen Zerstörung) wäre hier und da vielleicht doch einfach mehr gewesen. Im zweiten Durchgang stellt sich dann heraus, daß die Texte größtenteils wert sind, gelesen zu werden und die Package des Magazin als eine Art Bühne zu verstehen ist, die sehr verschiedenen Akteuren und Stimmen Platz bieten muß, ähnlich wie bei einem Konzert-Festival. Die Qualität der Texte oszilliert denn eben auch wie die Bands bei einem Open-Air von aufgesetzt-pathetisch bis funkelnd-berauschend, von gut gemeint zu gut gemacht.

Aber okay, bei so einem Magazin, bei so viel Text, geht es eben auch um die Abenteuer-Spielplatz-Komponente und wie immer bei solchen experimentelleren Sachen gibt es viel Licht und auch mal Schattenseiten, graphisch wie auch auf Textebene. Alles in allem machen die guten Seiten die schlechten Seiten spürbar wett und den manischen Details, der reinen Liebesarbeit, muß einfach Respekt gezollt werden.

Ob du nun funkelndes Design sehen will oder dich für die Möglichkeiten in der Auseinandersetzung mit einem Thema (diesmal: Stimme) interessierst, für nur 14 Euro ist das Artic auf jedenfall ein fast einzigartiges Magazin, eine Art Mini-Kunstausstellung, ein wirklich herausragendes Experiment, daß man unterstützen sollte. Hingehen und kaufen: www.artic-magazin.de

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