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Axel Bertram. Grafisches Gestalten aus fünf Jahrzehnten

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Hanka Polkehn, Grafikerin und seit 1998 Professorin für Typografie und Schriftdesign an der Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar, schrieb uns kürzlich über ein tolles Buch, das ihrer Meinung nach jedem Studenten zugänglich sein sollte, da es besonders gut erkläre, wie Gestaltung funktioniere – als eine von vielen Facetten.  Wir freuen uns, ihre ausführliche Rezension präsentieren zu dürfen: 

Auf der Leipziger Buchmesse entdeckt ...

...zwischen all den Fachbüchern für Gestaltung: Axel Bertram. Grafisches Gestalten aus fünf Jahrzehnten. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Mathias Bertram. Lehmstedt Verlag, 224 Seiten, gebunden, 39,80 Euro.

Es gibt Lehrbücher für Gestaltung, es gibt sehr viele Lehrbücher für Gestaltung – neue und alte, viele schlechte, einige gute. Es gibt Bücher, die Lehrbücher sein wollen oder zumindest den Charakter eines Lehrbuchs tragen, und es gibt unzählige Anguck-und Blätterbücher. Mancher blättert gern darin, mitunter wird man des Vielen wegen, das schon gestaltet worden ist, einfach überdrüssig. Und trotzdem greift man zum nächsten Buch. Das in solchen Büchern Gezeigte gibt mitunter Einblicke, vermag Trends aufzuzeigen, kann Quelle für Anregungen sein und schlimmstenfalls passiert es, dass man das Gesehene kopiert – absichtlich oder unabsichtlich. 

Was man aber nur selten erfährt, sind Hintergründe zum Auftrag, die verworfenen und die erfolgreichen Wege zum Ergebnis, Beweggründe des Entwerfers, etwas so und nicht anders zu gestalten – oder auch Hinderungsgründe, das Ergebnis zu veröffentlichen. 

Bei dem Buch, welches hier nun vorgestellt wird, ist das anders, es ist viel mehr als ein Bilderbuch, obwohl es voller Bilder ist. Die kann man sich freilich ansehen. Lange und immer wieder. Und staunen darüber, wie fleißig und bedachtsam der Grafiker Axel Bertram ein Leben lang gearbeitet hat. Was für großartige, zum Teil staatliche Aufträge er hatte und wie viele Aufträge er sich auch selbst gegeben hat. 

Sein Sohn, der Literaturhistoriker und Publizist Mathias Bertram, schon lange Jahre beim Lehmstedt-Verlag verantwortlich für die Entwicklung von Buchreihen, für das Lektorat und die gesamte Buchgestaltung (auch so ein vielseitiger Mensch!) hat das Buch herausgegeben, eingeleitet und kommentiert. 

Man kann in dem Buch also auch wunderbar lesen. Man kann es von vorn bis hinten lesen, so, wie ich es getan habe. Man kann es quer lesen oder kapitelweise. Und man kann hinten beginnen, was denen empfohlen sei, denen der Name Axel Bertram nichts sagt. 

Er ist wohl allen Leuten bekannt, die in der DDR als Gestalter gearbeitet haben, natürlich denen, die bei ihm studierten, auch jenen, die Zeitschriften wie »Sibylle« und »Wochenpost« gelesen und dann mal ins Impressum geschaut haben, denn er war lange Zeit der Gestalter dieser Zeitschriften. Er wird denjenigen bekannt sein, die sich nach dem täglichen Gebrauch des berühmten 20-Pfennig-Stücks oder zahlreicher Briefmarken oder dem Sammeln von Münzen für deren Schöpfer interessiert haben.

Kaum einer weiß jedoch, dass er die Weltfestspiel-Blume entworfen hat wie das gesamte Corporate Design für dieses Festival des Jahres 1973, das voller Hoffnung war. Auf einschlägigen Plattformen kann man noch die heute als »old school« betrachteten T-Shirts und Taschen ersteigern. Aber es wäre ganz falsch, Axel Bertram in die Schublade »alte Schule« zu stecken, obwohl und weil er auf geschichtliche Erfahrungen, auf Seriösität und Präzision großen Wert gelegt hat. So etwas wird nicht alt, es kann nur mal für einige Zeit aus der Mode geraten.

Ich möchte hier für das Buch als Lehrbuch werben, obwohl es das bestimmt nicht werden sollte. Jedenfalls keines der typischen Lehrbücher. Was nämlich bisher kaum ein Lehrbuch über Gestaltung geschafft hat, vermag dieses Buch zu leisten: 

Es macht begreiflich, was es heißt, zu entwerfen. Was es heißt, für einen bestimmten Zweck zu gestalten. Welche Gedanken einem durch den Kopf gehen müssen, was man zusammenträgt an Fakten, an Material, welche Emotionen nötig sind, um unter Umständen am geglaubten Ende des Entwurfsprozesses doch alles wegzuwerfen und neu zu beginnen. Wie das Recherchierte und die eigenen Ideen ineinander greifen, wie man Witz und Humor mit Ernst verbinden kann, wie das große Ganze durch kleine Köstlichkeiten ergänzt wird. Welche Verantwortung man hat als Stilbildner, als Aufklärer, als Ordner, als Stifter von scheinbarer Unordnung und als Kommunikator! So etwas kann man hier erfahren, was man wissen sollte als Gestalter, nämlich, dass man mit seiner Haltung auch in schwere Konflikte geraten kann, dass man natürlich mit Ideologien in Berührung kommt und sich verhalten muss – und nicht nur »damals« in der DDR. 

Man fühlt beim Lesen und Ansehen wie der Gestalter Bertram vorgegangen ist. 

Und der Herausgeber schafft es, eine phantastische Wechselbeziehung zwischen Text und Bild, Bild und Text entstehen lassen, es entsteht ein großer Respekt vor der Vielfalt und Qualität dieses Lebenswerks. So gut wie alles, was man als Grafikdesigner machen kann, hat Axel Bertram wohl gemacht – und fast alles in ausgezeichneter Qualität. Noch die Ausrutscher sind aufschlussreich. 

Bei der Beschäftigung mit dem Buch beiläufig auch ein Gefühl dafür, wie stark hier Redaktion und Layout zusammen gehören (ein Glücksfall, dass Mathias Bertram beides beherrscht) – wie da Beispielbilder auf den Seiten angeordnet sind, wie da Räume geschaffen werden für die farbigen Fonds der Zwischenkapitel. Die verschiedenen Textebenen interagieren miteinander – die Überlegungen von Axel Bertram, die Kapitel einleitenden Texte mit Hinweisen auf Arbeits- und Wirkungsbedingungen. Und die Kommentare zu den einzelnen Objekten, die vielen Querverweise und passenden Zitate aus Veröffentlichungen des Grafikers führen dazu, dass alles höchst lebendig wird, man einen großen Überblick bekommt und viel versteht:

Man erfährt etwas über Gestaltung von den 1960er Jahre bis heute, über DDR-Gebrauchsgrafik, die man danach vorurteilsfrei kennt, was die Auffassung bestärkt, dass gute Gestaltung unabhängig von Gesellschaftssystemen sichtbar bleibt und man hüben wie drüben viel Geduld und Durchsetzungsfähigkeit brauchte und braucht, um Aufraggeber von der stärkeren Idee, der gewissenhafteren und der besseren Gestaltung zu überzeugen.  

Und man wird vielleicht entdecken, dass es in dieser Hinsicht keinen Bruch gibt zwischen der Zeit vor und der mit Gestaltungswerkzeug Computer: Bertram musste nicht das bis dahin Erreichte über Bord werfen, sondern er baute darauf auf. Er mischte die unterschiedlichen Techniken – Illustration, Kalligrafie, gezeichnete und gesetzte Schrift, Fotografie, Retusche, Collage, Kopier- und Scantechnik. 

Vielseitig sein heißt eben auch, seinen Hintern hochzubekommen und den Rechnerplatz zu verlassen – schneiden, stempeln, reißen, schreiben, skizzieren, in Bibliotheken gehen, Ausstellungen und Museen besuchen oder im Café sitzen und Leute beobachten oder einfach nur das Leben genießen. Das muss man können, dafür muss Zeit sein! Es wird viel zu wenig gemacht in unserer Branche!

Liebe Leute, Gestaltung ist und bleibt Knochenarbeit und Gestalter haben einen der schönsten und vielseitigsten Berufe der Welt. Das erzählt dieses Buch – ohne dass man belehrt wird. Man wird mit dem Talent zum Gestalter geboren, aber den Rest muss man sich aneignen. Wie das geht, kann man in diesem Buch lernen.

 

Axel Bertram.
Grafisches Gestalten aus fünf Jahrzehnten

Gestaltung: Mathias Bertram
Herausgeber: Mathias Bertram
Verlag: Lehmstedt Verlag
Veröffentlichung: 2013
Umfang: 224 Seiten
Format: 16 x 24.5 cm
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-942473-38-5
Preis: 39,80 Euro

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