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»Grenzen überschreiten«

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Durch die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung, u.a. aufgrund der Fortschritte in der Medizin, hat die Diskussion über Sterbehilfe in den letzten Jahren erhebliche Ausmaße angenommen. Kontinuierlich tauchen in den Medien umstrittene Fälle auf – als jüngstes Beispiel der Hamburger Ex-Justizsenator Roger Kusch, der mit seiner Suizid-Begleitung für eine Rentnerin die Diskussion neu entfachte.
Magdalena Cuber und Manuel Rigel von der FH Würzburg haben sich in ihrer Diplomarbeit »Grenzen überschreiten« mit dem brisanten Thema der Sterbebegleitung in Deutschland auseinandergesetzt. Entstanden ist ein intelligentes Konzept, das durch feinfühlige Gestaltung auf verschiedenen Medien ein doch eher schwieriges Thema besser zugänglich macht.

Am Anfang unseres Diploms "Grenzen überschreiten" stand noch der Begriff der "Sterbehilfe" in Form einer aktiven Euthanasie im Mittelpunkt. Vor allem die Berichte in den Medien veranlassten uns dazu, auf diese Thematik aufmerksam zu werden. Die Tatsache des demographischen Wandels wird dieses Feld in naher Zukunft allgegenwärtig machen und die Leute dazu zwingen, sich auch mit ihrer eigenen Sterblichkeit auseinander zu setzten. Wir möchten keine Lösungen der Problematik aufzeigen, sondern vielmehr Denkanstöße bieten. Im Laufe unserer Recherche – bei der wir uns auch selbst in Hospizen und Krankenhäuser ein Bild der Situation machen konnten – sahen wir uns gezwungen den zentralen Begriff der "Sterbehilfe" in "Sterbebegleitung" zu ändern, denn durch die praktische Erfahrung wird einem klar, dass es vielmehr darum geht, die Kranken möglichst menschenwürdig und liebevoll bis zum Schluss zu begleiten und nicht darum, das "Problem" möglichst schnell aus dem Weg zu schaffen. Um das auch anderen Menschen zu vermitteln, haben wir uns bemüht die Thematik aus verschiedensten Blickpunkten und Medien zu beleuchten. Deswegen stand am Ende unseres Diploms auch nicht eine einzelne abgeschlossene Arbeit, sondern mehrere Herangehensweisen.
Um einen praktischen Zugang zum Thema zu bekommen, haben wir uns entschlossen, eine Woche im St. Vinzenz-Hospiz in Augsburg ehrenamtlich zu arbeiten. In das stationäre Hospiz werden Menschen aufgenommen, die an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden und eine Heilung noch ein Stillstand erreicht werden kann. Dort können sie ihr Leben nach ihren Möglichkeiten bis zuletzt selbst gestalten.
Es war für uns eine sehr beeindruckende und auch überraschende Erfahrung so nah an schwer Erkrankten, Sterbenden zu sein. Denn die Stimmung auf der Station ist alles andere als niedergeschlagen und erdrückend. Das Personal versucht auf liebevolle Art und Weise auch in schweren Situationen den Lebenswillen der Betroffenen aufrecht zu erhalten. Wir durften Einblicke in die Grundpflege bekommen, mit Angehörigen und Betroffenen reden und konnten so auch innerhalb einer Woche einen guten Eindruck davon bekommen, wie das Lebensende menschenwürdig gestaltet werden kann.

www.grenzenüberschreiten.de

Diese Installation fand auf dem Würzburger Domplatz statt, auf dem wir ein quadratisches Feld von 10x10 Steinen angeordnet haben. An jedem dieser Steine – die je symbolisch für einen Hospizarbeiter stehen sollten -– war ein Ballon befestigt, dessen Höhe sich nach der Anzahl der Sterbebegleitungen richtet. Je mehr Menschen der Ehrenamtliche bereits betreut hat, desto länger war die Schnur, an der der Ballon hing. Zudem waren die Antworten unserer Umfrage in Form kleiner Fähnchen an den Schnüren angebracht, die Aufschluss über Alter, Motivation und Beruf der einzelnen Hospizarbeiter geben sollten.

Diese Karte soll geographisch alle stationären/ambulanten Hospize und Palliativstationen in Bayern verorten. Man kann sich aber auch ein Bild davon machen, wieviele Betten in den stationären Einrichtungen maximal belegt werden können, sowie von der Anzahl der freiwilligen Hospizhelfer, die dort mit ihrer Hilfe sehr viel Arbeit leisten. Dazu gibt es eine alphabethisches Verzeichnis aller Einrichtung, indem alle Kontaktinformationen, Koordinatenpunkte und Angebote der Einrichtungen aufgelistet sind.

Um all die Informationen der Karte und Installation festzuhalten, haben wir dieses Buch gestaltet. Dort sind zum Beispiel alle Informationen zu den Hospizen und Palliativstationen zusammengefasst. Des Weiteren finden sich darin die Texte der Ehrenamtlichen aus der Balloninstallation, sowie ihre eingescannten Hände als Bildebene. Da wir die Informationskarte in das Layout integriert haben, konnten wir die gesammelten Antworten nun auch lokal verorten. Überall dort, wo sich der Wohnort eines Ehrenamtlichen befindet, ist ein Loch eingestanzt, an dessen Rückseite der dazugehörige Text zu finden ist. Der Titel des Buches ist eine Anspielung auf die Anzahl der Befragten und der aufgelisteten Einrichtungen.

Diese doppelseitigen Plakate, die in Zusammenarbeit mit dem St. Vinzenz Hospiz in Augsburg entschanden sind, erscheinen am Anfang trotz ihrer floralen Gestaltung sehr schlicht und unverständlich. Aber sobald man die Beläuchtung der Objektkästen in denen sie sich befinden anschaltet, klärt sich die Situation auf und der Betrachter wird auf eine zweite Informationsebene geführt.
Das erste Plakat soll das Netzwerk der Fürsorge sichtbar machen, das einen Menschen umspannt, wenn er zu Gast in einem Hospiz ist. Vom Hospizhelfer, Arzt, Koch, Pflegepersonal bis hin zum Seelsorgern und Verwandten spannt sich im Idealfall dieses Netzwerk.
»Wenn nicht mehr zu machen ist…« ist der einleitende Satz des zweiten Leuchtplakates. Schaltet man den Leuchtkasten ein, erscheint eine Textebene, die die letzten Tage einer Patientin aufzeigt. Eine peinlich genaue Dokumentation der Tage, die sie im Hospiz verbracht hat. Ferner wird der Satz auf der vorderen Seite aufgelöst in »…bleibt noch viel zu tun." Es soll aufgezeigt werden, wie aufwändig und arbeitsintensiv die Pflege von Sterbenden ist.

Mit dieser Installation wollten wir die Komplexität einer Patientenverfügung aufzeigen. Sie besteht aus 128 kleinen Büchern, die an einer Wand befestigt werden. Hierfür haben wir vier Ebenen entwickelt, wobei jede Ebene anders an das Thema heranführt. Der Betrachter kann durch Abreißen auf die verschiedenen Inhalte aufmerksam werden. Teilweise gehen die Ebenen über die Formate der Bücher hinaus und ergeben nur zusammen betrachtet einen Sinn. Die erste Ebene beinhaltet zum Beispiel alle Fragen einer Patientenverfügung, mit denen sich eine Person auseinander setzen muss. Dadurch, dass die Betrachter nie die einzelnen Ebenen ganz abtrennen, sind die Inhalte immer nur fragmentarisch sichtbar und spiegeln die Unübersichtlichkeit des Themas wider.

Mit diesen Text-Bildkombinationen wollten wir noch einmal auf die oft kuriosen Situationen in einem Hospiz aufzeigen. Zu vier Bildern werden Momente geschildert, wie wir sie im Hospiz erleben durften. Es soll einen Einblick in die Situation geben, wie sich Menschen fühlen, die wissen, dass ihnen nur noch eine sehr begrenze Zeit für eine Bilanz zur Verfügung steht. In der Zeit, in der wir als Hospizhelfer gearbeitet haben konnten wir erfahren, wie erschreckend normal und alltäglich das Leben trotz schwerer Krankheit oft weiter geht.

Dieses Abreißplakat setzt sich kritisch mit dem Sterbetourismus auseinander, der durch die Organisation »Dignitas« immer wieder ein großes Medienecho findet. Die Streifen im unteren Bereich können unwiderbringlich (irreversibel) abgetrennt werden. Auf diesen Streifen befindet sich die Adresse und Telefonnummer der Organisation. Und so verschwindet die abgebildete Person nach und nach von der Bildfläche.

–Wer seid ihr, wo habt ihr studiert?
Wir sind Manuel Rigel und Magdalena Cuber und wir haben letztes Wintersemester an der Fachhochschule Würzburg unser Diplom „Grenzen überschreiten“ gemacht, indem wir uns mit dem Thema der Sterbebegleitung auseinander gesetzt haben.

–Was hat euch auf diese Thematik gebracht?
Lange Diskussionen und vor allem auch vorherige Semesterarbeiten. Wir haben bereits im Haupstudium sehr viel zusammen gearbeitet und konnten uns schon da immer für Themen begeistern, die auf den ersten Blick als schwierig und unzugänglich erschienen. Aber genau diese Grenzbereiche bringen oft die interessantesten und eigenständigsten Lösungen hervor. Natürlich kam auch hinzu, dass das Thema in der letzten Zeit sehr präsent in den Medien war und uns fasziniert hat.

–Wollt ihr mit eurer Arbeit ein Stück Aufklärungsarbeit in diesem Bereich leisten?
Das gehört auf jeden Fall dazu. Als es darum ging, uns für ein Thema zu entscheiden war uns klar, dass wir Menschen zum nachdenken bringen wollen. Es war uns nie wichtig einen bestimmten Standpunkt einzunehmen und zu versuchen die Leute in irgendeiner Weise in ihrem Denken zu beeinflussen. Alles soll nur einen Denkanstoß geben, sich mit dem Thema zu beschäftigen, auch über die eigene Vergänglichkeit nachzudenken. Das ist natürlich in gewisser Weise auch eine schmale Gratwanderung, denn wir wollten auf keinen Fall durch abschreckende oder schockierende Bilder die Menschen auf das Thema hinweisen. Alles sollte sehr still, ruhig und intim wirken.

–Wie steht ihr persönlich dem Thema der aktiven Sterbehilfe gegenüber?
Vor dem Diplom tendierten wir eher in eine bestimmte Richtung. Man verurteilt sehr schnell, wenn es um diese Thematik geht. Die meisten Leute möchten in erster Linie ihr Leben selbst in der Hand haben – und damit auch über das eigene Ende selbständig entscheiden. Erstaunlicherweise haben wir durch unsere Recherchen und Gespräche einen anderen Blickwinkel bekommen. Es geht eben nicht nur um Sterbehilfe, sondern vor allem um die Begleitung eines Sterbenden. Es wurde uns klar, dass dieses Gebiet viel zu komplex ist, um einen klaren Standpunkt einzunehmen. Jedes Schicksal ist ein Ausnahmefall und daher können wir bis heute keine klare Aussage auf diese Frage machen.

–Im Vorfeld eurer Recherche habt ihr eine Woche in einem Hospiz mitgearbeitet. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht und welchen Einfluss hatte diese Zeit auf den weiteren Verlauf eures Projekts?
Die Erfahrungen im Hospiz waren sehr positiv. Wir haben Pfleger, Ärzte, Ehrenamtliche, Seelsorger und die Betroffenen mit deren Angehörigen kennen gelernt. Es war von Anfang an klar, dass das ein schwieriger aber wichtiger Schritt in unserer Arbeit sein wird. Diese Erfahrungen haben unser Diplom natürlich sehr beeinflusst. Für uns war ein Hospiz – wie wahrscheinlich für die meisten Menschen – ein Ort, den man nicht wirklich kennt. Nach dem Aufenthalt im Hospiz ging es nicht mehr nur darum, der Diplomarbeit an sich gerecht zu werden, sonder auch darum, den Menschen, die man kennen lernen durfte. Natürlich wollten wir eine gut gestaltete Arbeit abliefern, jedoch standen die Menschen an vorderster Stelle. Es ist erstaunlich, dass man in so kurzer Zeit eine sehr intime Bindung zu fremden Menschen aufbauen kann. Es gab aber auch sehr viele lustige Momente, in denen man mit den Schwerkranken ausgelassen lachen konnte. Im Nachhinein wollten wir diese wertvollen Momente auch auf eine sensiblere Art und Weise kommunizieren.

–Neben Arbeiten in gedruckter Form (Buch, Plakat) habt ihr euch entschieden, das Konzept durch Installationen zu erweitern. Wie waren die Reaktionen der Öffentlichkeit? (z.B. auf eure Aktion vor dem Dom)
Sehr positiv. Die Leute waren sehr interessiert und wir kamen mit vielen ins Gespräch. Diese andere Form war ausschlaggebend – die Thematik mitten in die Stadt am Samstag Vormittag zu bringen, mitten ins Leben. Wie bereits gesagt wollten wir die Leute nicht durch abschreckende Texte oder Bilder auf das Thema aufmerksam machen, sondern auf eine unfällige, überraschende Art und Weise. Da es sich um weiße Luftballons handelte, hatten die Menschen im Vorfeld keine Berührungsängste und haben sich somit ganz unbefangen auf das Thema eingelassen. Schön war auch, dass die Ehrenamtlichen des Juliusspitals in Würzburg vorbei kamen und sehr überrascht über die endgültige Umsetzung waren. Wir haben im Vorfeld ja auch einige von ihnen befragt. Nicht wenige von ihnen standen der Sache kritisch gegenüber. Aus unserer Sicht war es eine sehr gelungene Art, die Menschen auf dieses Thema hinzuführen, ohne eine depressive Stimmung zu erzeugen. Durch diese Arbeit kamen auch einige Leute auf uns zu, die nun mit dem Gedanken spielen, sich als Ehrenamtliche in der Hospizbewegung zu engagieren. Das ist doch super!

–Wie lange habt ihr für eure Arbeit gebraucht? Wer hat euch dabei betreut?
Insgesamt haben wir das ganze Diplomsemester daran gearbeitet. Unterstützt wurden wir von unserem Professor Christoph Barth.

–Was macht Ihr gerade? Wo möchtet Ihr gerne hin, beruflich, mit
eurer gestalterischen Arbeit?
Wir sind leider gerade an zwei unterschiedlichen Enden Deutschlands. Manuel: Ich arbeite gerade in München in einem Designbüro. Magdalena: Ich lebe zur Zeit in Berlin und arbeite dort als freie Mitarbeiterin für verschiedene Büros. Unser großer Traum ist es, eines Tages ein eigenes Büro zu gründen. Ein Netzwerk an interessanten und offenen Gestaltern. Schön wäre es natürlich, weiterhin Projekte machen zu können, mit denen man Menschen erreicht, und auf außergewöhnliche Themen aufmerksam macht.

Vielen Dank für das Interview!

www.magdalenacuber.de

www.manuelrigel.de

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