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Scheiß drauf!

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Wie kann ich mich aus meinem Regelkorsett, das mir die Gesellschaft angezogen hat, befreien? Diese Frage versucht Susanne Beck in ihrer Diplomarbeit zu beantworten. Herausgekommen ist ein witziger, ordinärer und gut durchdachter Kalender.

Der Kalender bietet geniale Vorschläge wie man glücklich werden kann. Einmal die Woche bekommt man kreative Fluchvorschläge und amüsante Zitate von Prominenten, Dichtern und Denkern.

Wer würde nicht gerne mal so richtig auf die Kacke hauen? Susanne Beck bietet uns mit ihrer Diplomarbeit eine Möglichkeit gezielt aus den gesellschaftlichen Normen auszubrechen, um ein glücklicheres und freieres Leben zu führen.

Mehr über die Entstehung ihrer Diplomarbeit, erzählt sie uns in einem Interview.

Was hat dich zu einem Knigge für Rüpel inspiriert? 

Ich komme vom "Land" und bin behütet aufgewachsen - in einem engen Regelkorsett. Dort ist besonders klar festgelegt, was man wie macht und wichtig ist vor allem, was "die Leute" über einen denken. Für mich war es also "normal" mich an diese gesellschaftlichen Regeln zu halten und möglichst allen Nachbarn zu gefallen.

So strebe ich bis heute nach Anerkennung und Bestätigung der Gesellschaft. Aus diesem Druck heraus, der mein ganzes Leben und meine Freiheit bestimmt, habe ich mich entschlossen mit dieser Arbeit ein Selbstexperiment zu wagen: In wieweit ertrage ich gesellschaftliche Ablehnung - ohne Wohlwollen und Lob? In wieweit kann ich mich selbst wertschätzend in mir ruhen, ohne gesellschaftiche Anerkennung und Bestätigung? Wo liegen meine persönlichen Grenzen? Ich erprobte also meine Abgrenzungsfähigkeit, dass mir das alles "scheiss egal" wird.

Es entstand ein Jahresprogramm zum gezielten Ausbruch aus gesellschaftlichen Konventionen. Eine Anleitung zum ordinär sein. All das, was wir im "Ursprungszustand" sind, noch bevor uns die Gesellschaft so geformt hat, wie sie uns haben will. Damit meine ich eigentlich ganz natürliche Dinge wie: Ehrlichkeit, Ausgelassenheit, Aufrichtigkeit, Offenheit, Spontanität, Authentizität, sogar auch einen gesunden Egoismus.

Wie war deine Vorgehensweise, um die passendsten Vorschläge zu finden? 

Das Leben hat mich praktisch mit den passenden Vorschlägen zugeschissen.

Wie ist der Kalender aufgebaut?

»Scheiss drauf« ist in 3 Kategorien eingeteilt, die sich farblich voneinander unterscheiden:

Schwarz (Hauptteil): tägliche Vorschläge für soziale Entgleisungen
Weiss (einmal die Woche): Empfehlungen und Anregungen aus anderen Ländern für sprachliche Entgleisungen. In meiner Theoriearbeit habe ich mich mit ordinärer Sprache, im speziellen mit Schimpfen und Fluchen und deren Legitimation beschäftigt. Das Fluchen richtet sich immer auf das jeweilige Tabu der Gesellschaft. Aber was gibt es in unserer Gesellschaft noch für großartige Tabus? Da wir ein sehr reinliches Volk sind, dreht sich bei uns alles um die Fäkalien. Ob fest, flüssig oder gasförmig. Malediktologe Roland Ries spricht hierzulande von sprachlicher Verarmung (nicht etwa was unsere alltägliche Sprache angeht, der so oft ein Sprachverfall angedichtet wird, sondern in der Fluchkultur!)) Denn bei den Deutschen geht es ganz besonders um die Scheisse! Und um den Arsch. Hängt ja auch beides eng zusammen. Hier möchte ich Empfehlungen geben, ein bisschen kreativer zu fluchen.

Grau (einmal im Monat): Weisheiten von Prominenten, Dichtern und Denkern, um mein ordinäres Sammelsurium zu komplettieren. Wenn man von den Dichtern und Denkern ausgeht, wären diese im heutigen Sinne auch "ordinär", denn im 17. Jahrhundert gab es richtige Furzwettbewerbe. Das gehörte zum guten Ton. Martin Luther, William Shakesspeare und Mark Twain waren Freunde deftiger Sprache und Wolfgang Amadeus Mozart unterzeichnete Briefe gerne mit "Herzlichst, Ihr Süßmaier Scheissdreck."

Warum sind auf den Rückseiten Masken?

Auf der Rückseite befinden sich passende Masken zu den Vorderseiten. Sie haben vorgefertigte Stanzlöcher und Markierungen an Mund- und Augenpartie, so dass man sie schnell selbst basteln kann. Im Schutz dieser Masken kann man der gesellschaftlichen Konvention entsagen, ohne verurteilt oder belangt zu werden. Man kann als neutrale Person experimentieren und dadurch seinem Freiheitsgefühl näherkommen. Ich möchte durch die Masken meinem Selbstexperiment einen spielerischen Charakter geben. Verborgenes wird durch neue Spielregeln ins Spiel gebracht und kann durch Wiederholen und Gewöhnung zum Normalen werden. Entdeckt wird ein "Eigentliches", ein Überrachendes, ein vorher Unbekanntes. Es geht also um das Bewusstwerden des Kontrastes zwischen eigentlichem Handeln und gewünschtem Handeln, unseren Sehnsüchten. Was traue ich mich mit Maske und was ohne?

Auf welche Besonderheiten oder lustigen Fakten bist du während deinen Recherchen gestoßen? 

Es gibt leider nicht viel nette ordinäre Literatur die einen hätte inspirieren können, sieht man einmal von Pornoheftchen und ähnlichem ab. Einzig die Zeitschrift »Maledicta« bringt seit 1977 ihren wunderbaren, ordinären Beitrag zu einer besseren Welt und hat seinem Herausgeber Reinhold Aman sogar schon einen Gefängnisaufenthalt beschert. Da merkt man, dass man sich auf dünnem Eis bewegt, aber ein Grund mehr, endlich mal richtig auf die Kacke zu hauen. Inspiriert hat mich ein junger Bereich der Linguistik: die Malediktologie. Die Wissenschaft vom Schimpfen und Fluchen. So bleibt uns ein russischer Fluch wie »Möge dein Grab von Schwänzen überwachsen werden« nicht vorenthalten.

Eine Studie belegt, dass 80% der Deutschen BLIND Vorschriften und Schildern folgen, die man ihnen vorgibt. Ich fragte mich also, ob man diese Regeln "als gegeben", als "Wahrheit" annehmen, oder auch einmal hinterfragen oder sogar persönliche Grenzen durchbrechen sollte? Durch die Recherchen habe ich festgestellt, dass es um weit mehr geht als um eine spätpubertäre, anarchistische oder gar nihilistische Auflehung GEGEN die Gesellschaft oder GEGEN alle Regeln. Es geht mir um ein PRO. PRO Freiheit und PRO glücklich sein. Und ordinär sein macht glücklich! Ich tue das, was ich wirklich will. Durch bewusstes Aushalten gesellschaftlicher Antipathie wird letztlich das Selbstbewusstsein gestärkt. Ausserdem erlange ich ein Freiheitsgefühl, was für mich persönlich zum Glücksgefühl führt, da ich autonom und stark bin. Glücksgefühle kommen ausserdem von meinen kreativen Fluchvorschlägen: Schimpfen gilt als therapeutischer Weg, um Stress abzubauen. Psychologen sagen, dass dies für die Gesundheit so wichtig ist wie Weinen oder Lachen. Fluchen wirkt also nicht nur befreiend, sondern auch schmerzlindernd, wie kürzlich das Fachblatt «Neuroreport» schrieb (ich erfand in diesem Zusammenhang »Fluch-Yoga«) und der deutsche Psychologe Peter Reeh bezeichnet Fluchen und Schimpfen sogar als «Stuhlgang der Seele». Wunderbar.

Hast du deine Vorschläge selbst umgesetzt und bist du jetzt glücklicher?

Scheisse, ja!

Warum ist dein Kalender nicht wirklich »kalendarisch« aufgebaut (mit Tagen und Monaten), sondern von 1 bis 365 durchnummeriert?

Hätte ich für jeden speziellen Tag einen Vorschlag gemacht, wäre der Konsument gezwungen, genau an dem Tag eine ganz bestimmte Sache zu machen. Ich spreche die ganze Zeit von Freiheit und möchte die Menschen dazu anregen das zu tun, was sie wirklich wollen, und dann stelle ich ein neues Regelwerk auf, in das sie hineingequetscht werden und ich bin eine neue Instanz, die ihnen sagt was sie wann wie zu machen haben? Wohl eher nicht. Ich gebe Anregungen – mein persönlicher Vorschlag ist, den Kalender in einem Jahr zu durchlaufen – und jeder kann für sich selbst entscheiden, wie, wann und wie viel er umsetzen will.

Was hast du während dieser Zeit gelernt? 

Das Ordinäre steckt in jedem von uns. Es wird nur vom Schamgefühl verleugnet und von der Contenance unterdrückt. Wir sind ein Gesellschaftsprodukt, wir funktionieren, ohne es zu hinterfragen.

Ich habe gelernt, dass mir die BEWUSSTE Entscheidung FÜR oder GEGEN die Einhaltung der Konventionen Freiheit bringt. Da muss ich noch nicht mal entscheiden, Omas Namen zu rülpsen. Alleine das Bewusstsein, dass ich entscheiden kann, lässt mich ein freier Mensch sein. Ich sitze am Hebel! Ich möchte zum Reflektieren anregen, dass es an jedem selbst ist und man die WAHL hat, seine eigenen Grenzen auszuloten. Und selbst wenn man alle meine Vorschläge zum kotzen findet, kann man sich beruhigt in das sichere Nest der liebgewonnenen Lebensgewohnheiten lehnen und sich erinnern, wie beruhigend es ist, sich bewusst FÜR gesellschaftliche Regeln zu entscheiden! Und somit ist man auch wieder freier und glücklicher.

Ich biete mit meiner Arbeit ein spielerisches Experiment an, dass es uns leichter macht auch einmal zu entgleisen, gelegentlich »anders« zu handeln. Wie man sich durch Bewusstwerdung jeden Tag aufs Neue entscheidet – für ein freieres, glücklicheres Leben. Und wenn man es nach meinen Spielregeln macht, dann sogar ohne dafür belangt zu werden.

Und wenn man keine Lust hat – scheiss drauf!

Kontakt zu Susanne unter:
www.susannebeck.com

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